Ja, der Zyperndeal ist ungerecht. Das ist tragisch, aber noch nicht schlimm. Ungerechtigkeiten gibt es in jeder Wirtschaftskrise. Die guten wirtschaftlichen Zeiten sind dazu da, diese Ungerechtigkeiten durch Umverteilung wieder auszugleichen. Viel schlimmer ist, dass der nachverhandelte Zyperndeal auch noch willkürlich ist. Schuld daran ist das zyprische Parlament. Der Sieg der Demokratie ist ein Infernal der Willkür.
Ein Land, das solche Demokraten hat, braucht keinen Euro und keine Troika, um seine Zukunft zu ruinieren. Das erkennt man, wenn man beide Pläne kurz miteinander vergleicht. Plan A sah vor, alle Bankeinlagen bei allen zyprischen Banken mit einer gestaffelten Sonderabgabe zu belasten. Unter 100.000 Euro wären 6,4% über 100.000 Euro 9,6% fällig gewesen. Plan B hingegen sieht vor, dass bei einer zyprischen Bank, der Bank of Cyprus, mindestens 25% auf alle Einlagen über 100.000 Euro eingezogen werden und eine andere zyprische Bank, die Laiki Bank, vollständig abgewickelt wird. Das heißt für die Anleger der zweiten Bank, dass sie sehr wahrscheinlich 100% ihrer Einlagen, die 100.000 Euro übersteigen, verlieren werden. Man kann darüber streiten, was nun gerechter ist. Alle Klein- und Großanleger pauschal für die Rettung eines ganzen Bankensystems heranzuziehen, das im Zuge eines Staatsbankrotts zusammenbrechen würde oder aber einzelne Großanleger in viel stärkerem Maße, teilweise vollständig, haften zu lassen. Willkürlicher ist letzteres es in jedem Fall. Plan B wäre nur dann nicht willkürlich, wenn gar keine Bank gerettet würde. Dann würden alle Anleger in gleichem Maße haften: gleiches Recht für alle. Damit wäre zwar das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des zyprischen Finanzsystems verloren, aber das in die Institutionen des zyprischen Staates erhalten worden. Leider wäre dann dieser Staat pleite gewesen und dann nützen auch gute Institutionen wenig, wenn der Staat seine eigenen Zahlungsversprechen nicht erfüllt. Und weil das mit Bank- und Staatsinsolvenzen so schwierig ist, spricht prinzipiell auch nichts gegen eine Einbeziehung der Gläubiger zur Rettung der Banken, weil sich jeder vernünftige Mensch für einen kleineren sicheren Verlust entscheidet anstatt mit großer Wahrscheinlichkeit einen Totalverlust in Kauf zu nehmen. Will man nun politisch Einlagen bis zu einer bestimmten Höhe schützen, muss man eben höhere Vermögen stärker belasten. Aber auch dann sollte das gleiche Recht für alle gelten und wahrscheinlich wäre es sehr klug gewesen auch Sachvermögen und nicht nur Finanzvermögen zu belasten.
Stattdessen überboten sich zyprischen Demokraten, oder nennen wir sie lieber Populisten, mit neuen Absurditäten. Zunächst wollten sie lieber ihr Volk kollektiv für neue Schulden bürgen lassen, obwohl der von ihnen regierte Staat faktisch pleite ist. Dafür sollten die Pensionen und der Kirchenbesitz verpfändet werden. Wetten, dass den meisten Zyprern nicht bewusst war, dass sie hier einen sicheren kleinen Verlust bei ihren Bankeinlage gegen einen unsicheren, aber nicht unwahrscheinlicher Totalverlust ihrer Pensionen getauscht hätten? Zumal beim erstens Szenario auch ausländische Kontenbesitzer die Staats- und Bankenrettung finanziert hätten. In der Finanzwissenschaft nennt man das Fiskalillusion. Die meisten Menschen haben nämlich schlicht nicht die Zeit und manche auch nicht die Phantasie, um solche Spielchen zu durchschauen. Zum Glück hat die deutsche Regierung dieses miese Spiel verhindert. Ein bisschen weniger absurd war die Idee, die weder erschlossenen noch vollständig erkundeten Erdgasvorkommen zu verpfänden. Leider wollte auf diese Wette keiner einsteigen, nicht mal die Russen wollten mitspielen.
Stattdessen spielt die zyprische Regierung nun im Plan B russisches Roulette mit den Bankkunden: zufällig erwischt es die einen voll, die anderen ein bisschen und manche gar nicht. Willkürlich ausgewählte Bankkunden müssen jetzt die ganze Zeche für die zyprische Steuerparadiesparty zahlen, obwohl das gesamte zyprische Finanzsystem marode ist. Man könnte meinen, da trifft es nicht die falschen. Schließlich haben sie von der Niedrigsteuerpolitik profitiert. Aber Bankeinlagen sind nicht zwangsläufig Vermögen. Auch ausgezahlte Kredite sind Bankeinlagen. Manchen trifft es also nicht mit 100%, sondern mit 200% + Zinsen. Wer also investieren wollte und sich sich Geld bei der falschen Bank geliehen hat, hat nun Pech, weil sein Geld konfisziert wurde, er nicht investieren kann, aber trotzdem seinen Kredit weiter abbezahlen muss. Das wäre bei Plan A nicht passiert. Bei Plan B wird also nicht nur der Finanzsektor, er eh nicht mehr zu retten ist erschüttert, sondern das Vertrauen in die politischen und rechtlichen Institutionen gleich mit zertrümmert.
Für die Zukunft Zyperns ist das fatal. Denn das Land verfügt über gut ausgebildete Menschen, es braucht nur ein neues Geschäftsmodell. Dafür braucht Zypern neue Investitionen. Aber wer will schon in ein Land investieren, dessen Regierung willkürlich Menschen enteignet und Investoren in den Ruin treibt? Die beiden Ökonomen Daron Acemoglu und James Robinson sehen in solchen schlechten politischen Institutionen die wesentliche Ursache für den Aufstieg und Fall von Nationen. Zypern ist deshalb die längste Zeit wohlhabend gewesen. Die gut ausgebildeten und talentierten werden auswandern, der Rest wird bleiben und wenn es gut für sie läuft werden sie Teil des maroden Staatsapparates, der in Korruption versinkt, weil er immer weniger Geld zur Verfügung hat, um seine Staatsdiener anständig zu bezahlen. Die Abwärtsspirale hat begonnen.
Hoffentlich ist das eine Warnung an die Regierungen in der Schweiz, in Luxemburg, in Holland, in Großbritannien und einigen andere Ländern, die glauben, dass organisierter Steuerbetrug ein gutes Geschäftsmodell ist. Hoffentlich ist es ein Denkanstoß für all die Kapitalismuskritiker, die vorbehaltlos glauben eine „demokratisierte“ Wirtschaftsordnung würde zu einer besseren Welt führen. Demokratie kann auch ganz schön dumm laufen – nicht nur auf Zypern.